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Sommerreise des »AR«
1924

Henry Rasmussen

Bootsmann:

Yachtmatrose Garling aus Eckernförde

Junge:

Hans Schädla

Smutje:

Frau Rasmussen

Stewart:

Anna Ranghild Rasmussen

Kapitän:

Henry Rasmussen

Endlich läuft die hochgetakelte Ketch vom Stapel, es ist einhalb 12 Uhr am Sonnabend, dem 28. Juni. Der wichtige Akt geht ohne Sang und Klang vor sich; da die Yacht schon eine Woche später in Svendborg vor Anker gehen soll, ist keine Minute zu verlieren. - Jetzt fängt wieder eine lebhafte Tätigkeit an Bord an: Tischler, Sattler, Dekorateur drängeln sich in den Räumen, der Motor wird probiert, die elektrische Lichtanlage muß nachgeprüft werden. Die Takler arbeiten bis zum Dunkelwerden und den Sonntag hindurch, und schon am Mittwoch kann »AR« loswerfen und in See gehen.

Die Mannschaft ist schon seit einiger Zeit angemustert, und wir sehen sie zum ersten Male am Sonntag an Bord um einzurichten. Die Barkasse bringt einige Riesenkoffer mit Ausrüstungsgegenständen für die Mannschaft. Bootsmann und Junge haben ihre Not, sie über den schmalen Steg an Bord zu bringen, wo der Inhalt vom Smutje und Steward in den unzähligen Schränken, Schubladen und Fächern verstaut wird. Auch Getränke, Konserven und andere Mundvorräte werden herbeigeschafft und in der trockenen Bilge des Stahlschiffes, unter den Salonsofas und im Eis- und Vorratsschrank verstaut.

Bald war auch die Bilge des Vorschiffes mit Brennholz für den Feuerherd angefüllt. In der Segelkoje waren Tauwerk und Bezüge wohlverstaut, und der Doppelboden war voll Frischwasser. Das Deck wurde noch einmal gehobelt und mit Sand gescheuert, sodaß es weiß wie Schnee war.

Nun hätte die Fahrt losgehen können, ja hätte, wenn das Wichtigste nicht gefehlt hätte, die Segel. Und auch die Segel kamen, und zwar zum letzten Termin, am 2. Juni, um 1 Uhr. Jetzt fing noch einmal eine fieberhafte Tätigkeit an. Die Segel paßten, das Winchgeschirr funktionierte, und um 4 Uhr 40 Minuten wurden die Leinen losgeworfen und fort ging’s unter Vollzeug mit leichter achterlichter Brise weserabwärts. Der Kapitän saß am Steuer, und die übrige Besatzung und die Passagiere winkten den an Land Zurückbleibenden zu. Letztere waren froh, daß sie die Arbeit wieder geschafft hatten, sie sollen ihre Freude zu „Schiphorst“ getragen haben.

Auch an Bord des »AR« herrschte eitel Freude, die auch der nach und nach einsetzende Regen und einschlafende Wind nicht einschränken konnte. Die Besatzung freute sich auf die schönen Wochen, die ihr bevorstanden an Bord dieser Yacht, die eine der schönsten Deutschlands genannt wird. Der Bootsmann sagte sogar, es wäre gut, daß es regne, denn, wenn es bei Beginn eines Unternehmens regne, fließe dem Unternehmer das Glück in die Schuhe; das hat sich auch auf der ganzen Fahrt bewahrheitet, obwohl es in den ersten Tagen nicht danach aussah. Um 7 Uhr wurde feierlich die erste Mahlzeit an Bord eingenommen. Der Bootsmann übernahm die Wache und die übrige Gesellschaft ging unter Deck.

Der Salon, in dem dieses fürstliche Souper bereit stand, ist der gemütlichste und vornehmste Raum, den ich mir denken kann. Wie einladend sind die beiden breiten bequemen Sofas! Die grünen Wollripsbezüge der beiden Sofas, die grün-seidenen Gardinen hinter den Scheiben der Wandschränkchen, die rohseidenen Vorhänge der Bullaugen, der bunte Teppich und die Kissen stehen zu der Wandbekleidung aus feinstem Cuba-Mahagoni poliert und mit schwarzen Leisten abgesetzt, in einer Harmonie, daß man sich nicht satt daran sehen kann.

Die fünf zu Tisch Gerufenen hatten sich eben in dem breiten, bequemen Hufeisensofa, welches an Steuerbordseite um den Schlingertisch läuft, niedergelassen und fingen an einzuhauen — sie litten nicht an Appetitlosigkeit —, als von oben der Ruf ertönte: „»Ägir« kommt!“ Im Handumdrehen war die gesamte Besatzung an Deck, aber der »Ägir« wer erst ganz in der Ferne als ein weißes Etwas zu sehen und man konnte erst in Gemütsruhe fertig speisen, bevor dieser prächtige ketchgetakelte Hochseekreuzer mit seinem 50 PS-Motor den »AR« einholte. Das Mahl war eben beendet, als auch der »Ägir« schon vorbeirauschte. Es wurden Grüße gewechselt, und bald verschwand er im Dunst des Abends, während der »AR« langsam mit dem Strom trieb, um gegen 9 Uhr vor Bremerhaven neben »Ägir« vor Anker zu gehen.

Nachts um 2 Uhr bei Eintritt der Ebbtide sollte die Reise fortgesetzt werden, wenn das Wetter einigermaßen sei; die Signalstation Bremerhaven hatte den Ball geheißt — atmosphärische Störung —. Um 2 Uhr war auch wirklich ein solches Wetter, daß man ruhig wieder in die Kojen kroch. Der Südwest heulte in der Takelage, und es regnete Bindfäden.

Mit Anbruch des Tages besserte sich das Wetter und nach einem kräftigen Mittagessen wurde um 2 Uhr ankerauf gegangen, und nun ging’s unter Vollzeug bei mäßiger Brise der Nordsee zu. Bremerhaven war bald verschwunden und Hoheweg kam allmählich in Sicht, aber die Brise ließ wieder nach und als der Leuchtturm passiert war, schlief sie plötzlich ganz ein und das Schiff wurde eine Stunde lang auf den Wellen geschaukelt und nur langsam vom Strom vorwärts gebracht. Die Mannschaft ließ sich von der Sonne bescheinen und suchte Wind, der überall und nirgends herkam. Die Schoten wurden gefiert und angeholt und die Segel schlagen von Steuerbord nach Backbord und wieder zurück und klappern entsetzlich. Von Zeit zu Zeit wird doch ein Hauch aus Südost verspürt und bald weht sogar der Stander am Großmast aus. Der Rotesand-Leuchtturm wird nun bald passiert: der Wind legt zu und wird zur steifen Vollzeugbrise. Nun kann der »AR« zeigen, was er kann, dies ist sein Element, und sein Kapitän und Erbauer ist mit ihm zufrieden, ja, seine Erwartungen sind sogar übertroffen. — In der Dämmerung werden die ersten Elbfeuerschiffe gesichtet und die Brise legt immer noch zu; der »AR« muß nun hart an den Wind und die ersten Spritzer kommen über, aber es kommt noch besser: Die Elbe muß aufgekreuzt werden, und zuweilen kommt sogar das Deck zu Wasser. Um 9,30 Uhr ist Cuxhaven erreicht. Ein Ozeanriese geht in See, er bietet ein herrlich-majestätisches Bild. Nun werden auf dem »AR« die Positionslampen angezündet, und das Großsegel muß geborgen werden, denn der Wind wird zum Sturm und das aufzukreuzende Fahrwasser wird eng. Die Nacht war nicht schön und die Besatzung wurde gehörig getauft. Nachdem der »AR« um ein Haar mit einer der großen Spirentonnen kollidiert hätte, ging er um 2 Uhr vor Brunsbüttel zu Anker. Am Freitag, dem 4. Juli, wurde schon um 2 Uhr geweckt und Anker gehievt. Der Wind hatte noch zugelegt, hatte aber nach SW gedreht und jagte das Schiff vor Top und Takel in die Schleuse, daß der Motor es nicht stoppen konnte, und ein allgemeines »Gott sei Dank« wurde gehört, als es glücklich in der Schleuse vertäut war, denn die Elbmündung ist eine windige Ecke. Nun kamen die üblichen Schwierigkeiten, die bei der Berührung mit der Behörde zu entstehen pflegen, auch sie wurden überwunden und der Kapitän bekam sogar die Erlaubnis, durch den Kaiser-Wilhelm-Kanal segeln zu dürfen. Um 5,30 Uhr öffnete sich das innere Schleusentor und der »AR« dampfte stolz in den Kanal, wo unter einigen Schwierigkeiten und einem kunstvollen Manöver Fock und Besahn gesetzt wurden und nun ging es platt vor dem Wind durch den Kanal, wobei sogar ein Schleppzug überholt wurde. In Holtenau verließ der Passagier, Dr. Bühmann, den »AR« und die Beisegel, die nicht rechtzeitig fertig waren, kamen an Bord. Schon um 2 Uhr ging es nach See zu, wieder vor Fock und Besahn. Die Besatzung saß im Cockpit und sah etwas übernächtigt aus, nur Smutje lag zu Koje und leider stellte sich später heraus, daß er nicht nur seekrank war. — Die Kleider waren von dem frischen Wind und der Sonne, die einen harten Kampf mit den schnell ziehenden Wolken zu kämpfen hatte, wieder getrocknet, und nun wurde ein Plan entworfen. Man wollte bei Dunkelwerden in Svendborgsund vor Anker gehen, am nächsten Morgen das Schiff in Ordnung bringen und dann gegen Mittag vollends nach Svendborg segeln und mit dem blitzblanken Schiff vor Christiansminde wieder ankern. — Ja, Pustekuchen — der Junge hatte wieder nicht unter den Tisch geklopft und so wurde nichts daraus. Der Sturm ließ nach und gegen 5 Uhr wurde das Großsegel gesetzt. Nun ging es wieder eine Zeitlang gut vom Fleck, aber lange dauerte die Freude nicht, der Wind ging bald ganz schlafen, nur die See bleib noch stehen. Nun mußte der Motor sein Bestes tun und er tat es brav, und der »AR« hatte bald Schutz von der dänischen Küste, der er näher kam und schon gegen 8 Uhr kam er in die Enge zwischen Lyö und Arernakö. Das Wasser wurde ganz ruhig und der »AR« machte gute Fahrt, die Segel wurden gefiert und schon für die Nacht festgemacht; — da, ohne sichtbaren Grund, machte die gesamte Besatzung eine leichte Verbeugung in der Richtung der Schiffsbewegung bezw. bisherigen Schiffsbewegung, man hörte ein paar rucksende Laute, der Kapitän drehte krampfhaft am Rad, aber zu spät! Der »AR« sitzt hoch auf ein paar Steinen. Nun gibt es anstatt der wohlverdienten Ruhe harte und ermüdende Arbeit, aber der »AR« sitzt fest und rührt sich nicht, und ein Schlepper muß helfen. Unter Land ist ein Fischer mit seinem Fahrzeug, der wird Rat wissen, der Kapitän rudert hinüber und befragt ihn. Der Fischermann hat das Unglück gesehen und sagt, das Wasser stände ungewöhnlich niedrig und würde über Nacht steigen, der »AR« würde also flott werden. — Nun wurde erst gegessen, der Hunger war übergroß, aber die Aufregung schnürte den Hals, und dann wollte man der Ruhe pflegen, nur einer sollte abwechselnd wachen und alarmieren, wenn der »AR« flott werden sollte. Aber schon während des Essens fing es unter dem Kiel an zu bumsen, und nun wurde nicht eher geruht, bis man vor Fock und Besahn bei wiedererwachender Brise diese unwirtliche Stätte verlassen konnte, um in der Nähe einen geeigneten Ruheplatz zu suchen; und die Kajütuhr war schon wieder nach 2 Uhr, als der Anker sich am Grund festgebissen hatte.

Am nächsten Tage hieß es schon bei Tagesgrauen: »Hiev’ Anker, heiß up de Fock, heiß up de Besahn!« Es wehte wieder recht nett und regnete sachte, die Stimmung war sehr trübe, und eine starke heiße Tasse Kaffee mußte die Lebensgeister der Besatzung wieder auffrischen und den Schlaf ersetzen. Dann wurde auch das Großsegel gesetzt, und es ging flott dem Sund zu mit vielen großen und kleinen Yachten zusammen, die sich dort messen wollten. Gegen 9 Uhr hörte der Regen auf, und bald schien die Sonne vom blauen Himmel, als ob es nie geregnet hätte. Bald kamen Svendborgs Türme und Werftanlagen in Sicht, der Anker wurde klar gemacht, und um 11 Uhr verschwand er vor der Strandpromenade bei Christiansminde im kristallklaren Wasser; aber er blieb im Seegras hängen, und das Schiff trieb langsam über den Sund und drohte am gegenüberliegenden Ufer zu stranden, und auch der kleine Motor hatte Not, es gegen den Wind zu halten. Der Anker mußte wieder gehievt werden und fiel dann auf eine helleuchtende Sandstelle, wo er sich tapfer hielt. — Nun wurde schnell noch etwas Ordnung geschaffen, und sich dann »landfein« gemacht. Die Landfeinheit dauerte leider nicht sehr lange, denn im Sund stand eine starke kabbelige See, und beim Anlandsetzen gab es manche Dusche, und die steifen Kragen wie auch die übrige Landfeinheit bei Damen und Herren war nur noch illusorisch. Das konnte die Gesellschaft aber nicht hindern, wankenden Schrittes zum Christiansminder Kurhaus zu ziehen und sich an Kaffee und Kuchen zu laben. Nach erfolgter Labung, es war nach dem Morgenkaffee die erste Mahlzeit, ging es zum Husumsvey zu Bestemoer und Bestefaer. Nach einer halben Stunde Wegs durch einen herrlichen Buchenwald konnte man das hübsche Häuschen mit seinem gemütliehen Strohdach schon sehen, und siehe da, da kommt Tante Jenny den vier Seefahrern entgegengeradelt. Ihr Gesicht soll nicht übermäßig geistreich gewesen sein, als sie die anrückenden Deutschen gewahrte. Dann war die Freude aber groß, und der Empfang im Hause war rührend. Gepriesen sei die dänische Gastfreiheit im allgemeinen, und im besonderen die des Hauses Rasmussen! Die vier Ruhestörer fühlten sich gleich sehr mollig und heimisch bei den »Besteeltern«, jedoch mußten Kapitän Henry und Steward Pute die Unterhaltung führen, und erst nach einigen Tagen war eine Verständigung mit Smutje Lies und Hans, dem Jungen, möglich.